Mürren
Mon Amour
Der Blog zwischen Höhenluft,
Herz und Haltung.
Mürren Mon Amour ist mehr als ein Blog. Es ist eine Liebeserklärung. An den Ort. An das Leben in der Höhe. An Gedanken mit Tiefgang. Hier treffen Höhenluft und Haltung aufeinander, Herz und Horizont. Zwischen Bergnebel und Klarheit entstehen Texte über das, was bewegt – innen wie aussen. Über Mürren als Idee, als Zwischenort, als Möglichkeit. Für alle, die mehr suchen als Aussicht: Einsicht.
Zwölf Grad zu viel: die Alpen, die wir verlieren
Hochsommer in Mürren. Zwölf Grad über dem langjährigen Tageshöchstwert. Die Bergluft ist warm wie in der Toskana, der Himmel klar wie der Bergbach, die Terrasse voll wie die Gondeln. Ein perfekter Tag, wenn man nicht darüber nachdenkt, warum.
Hochsommer in Mürren. Zwölf Grad über dem langjährigen Tageshöchstwert. Die Bergluft ist warm wie in der Toskana, der Himmel klar wie der Bergbach, die Terrasse voll wie die Gondeln. Ein perfekter Tag, wenn man nicht darüber nachdenkt, warum.
Zwölf Grad. Nicht über Null. Über dem, was hier oben sonst als Tageshöchstwert galt. Eine meteorologische Anomalie, sagen Fachleute. «Herrlich warm», sagen die Gäste. Mürren war nie nur für schnee- und sonnenanbetende gebaut. Man kam auch her, um der Hitze der Tiefe zu entfliehen, um in der Sommerjacke zu bleiben, um Bergluft zu atmen, die am Nachmittag noch frisch genug war für Gänsehaut. Sommerfrische. Jetzt aber kommen sie, weil es unten kaum mehr auszuhalten ist. Und die Hitze kommt mit.
Hitzetouristen. Flip-Flops auf dem Wanderweg. Selfiestick in der Hand. Vor Eiger, Mönch und Jungfrau lächeln sie ins eigene Display, posten #CoolEscape und ahnen nicht, dass der Gletscher im Hintergrund gerade wieder einen Zentimeter verliert. Es wirkt wie Urlaub, ist aber Evakuation light. Eine Flucht vor der stickigen Masse, die unten in den Strassen hängt und nun langsam auch hier hochkriecht.
Oberhalb von uns taut der Permafrost, das unsichtbare Fundament der Alpen, damals schmelzender Halt, jahrhundertelang fest. Nicht mehr. Er löst sich, lässt Felsen stürzen, Wege verschwinden. Was gestern sicher war, ist heute gesperrt. Der Verlust ist kein abstraktes Zukunftsszenario. Er ist jetzt.
Kühe grasen im Oktober, weil das Gras noch wächst. Lawinen kommen später, kleiner, bis wieder grössere kommen, unberechenbar. Die verhedderten Jahreszeiten. Der Blütenkalender verschiebt sich, Insekten finden ihre Pflanzen nicht mehr. Den Sommer gibt es jetzt in zwei Ausführungen: den alten, gemässigt-milden Bergsommer und einen neuen, fast tropischen Hochsommer.
Wir sind geübt im Schönreden, nennen es «Panoramablick», verkaufen das Schmelzwasser der Gletscher als «spektakuläre Wasserfälle». Der Tourismus lebt vom Bild, nicht von der Diagnose. Das Geschäft mit der Idylle. Doch unter der Postkarte lauert der Bruch: Hoteliers wissen, dass niemand für Geröllfelder bucht. Bergbahnen fürchten Winter ohne Schnee und kämpfen mit Kanonen. Die Einheimischen wissen: ohne festen Berg kein festes Leben.
Noch ist Mürren kühler, mit Brise und Schatten. Doch der Klimawandel steigt schneller als Wanderinnen und Wanderer. Er schiebt die Baumgrenze Meter um Meter nach oben, lässt ewiges Eis mehr und mehr zur rinnenden Erinnerung werden. Vielleicht bald nur noch als Bild auf Werbebroschüren? Das Verfallsdatum der Höhe.
An Tagen wie diesem sitzen wir draussen. Kaffee in der Hand. Paraglider im Himmel. Abendwind mit Heugeruch. Wir geniessen es, weil wir spüren, dass es nicht bleibt. Die Wärme, die uns jetzt angenehm erscheint, ist Teil einer Rechnung, die später jemand bezahlt.
Der Sommer in Mürren ist schön. Und Warnung. Noch hören wir sie, bevor der Berg selbst das Wort ergreift. Nicht unweit hat sich das Blatt gewendet, briiel’tr schmerzend.