Winterferien.
In den Winterferien ist Mürren ein anderes Dorf. Dasselbe Panorama, dieselben Häuser, dieselben Berge. Aber es verschiebt sich etwas. Der Takt. Der Atem. Die Lautstärke. Mürren brummt, grölt manchmal. Und wundert sich dabei ein wenig über sich selbst.
Mürren kann leise. Sehr leise sogar. An den meisten Abenden hört man hier mehr Schnee als Stimmen. Schritte werden zu Ereignissen. Lichter gehen früh aus. Um acht, neun schläft das Dorf normalerweise schon tief, fest, ohne Träume von morgen, weil morgen ohnehin wieder gleich beginnt.
In den Winterferien ist jedoch alles anders. Nicht dramatisch anders. Nicht fremd anders. Aber spürbar. Das Dorf steht unter Strom. Apéros hier, Apéros da. ein Glas jagt das Nächste, ein Lachen das Andere. Curlingsteine gleiten konzentriert über Eisflächen, während nebenan die Gespräche lauter werden. Aus Gimmewald herauf wehen Bassbeats, manchmal Goa, manchmal Techno, manchmal einfach nur das Versprechen einer Nacht, die länger dauert als sonst.
Touristen gehen singend durch die Gassen. Oder johlend. Oder beides. Spätabends noch, um zehn, halb elf, elf und zwölf, zu Zeiten, in denen Mürren sonst längst beschlossen hat, dass es genug gesehen, gehört und erlebt hat für diesen Tag. Veranstaltungen oben und unten. Kultur, Sport, Begegnung. Das Dorf ist gefüllt bis auf das letzte Bett und darüber hinaus. Hotel, Ferienwohnung, Gästezimmer, Privatwohnungen. Alles belegt. Alles belebt.
Das Geschäft läuft gut. Man spürt es in den Läden, in den Restaurants, in den Gesichtern. Diese besondere Mischung aus Müdigkeit und Zufriedenheit. Aus Routine und Ausnahmezustand. Mürren funktioniert. Mürren liefert. Mürren performt, würde man heute sagen. Und es tut das mit einer erstaunlichen Gelassenheit, als wüsste es sehr genau, dass diese Tage zwar intensiv, aber endlich sind.
Das Wetter hilft. Sonne den ganzen Tag. Eine Wintersonne, die nicht protzt, sondern präzise ist. Sie steht kurz. Der Tag ist knapp. Aber wenn er da ist, dann ist die Sonne da. Klar, kühl, fast schon technisch sauber. Der Schnee hingegen ist ein Thema. Oder besser gesagt: sein Fehlen. Im Dorf selbst türmt er sich nicht, wie er es könnte, wie er es manchmal tut.
Aber oben läuft der Betrieb. Die Beschneidungsanlagen arbeiten zuverlässig, man hört das Brummen der Maschinen in der Nacht bis ins Dorf. Die Pisten sind da. Die Skier auch. Die Gäste vermissen den Schnee im Dorf, ja, kurz vielleicht, als romantische Idee. Aber sie kommen darüber hinweg. Es sind Weihnachtsferien. Skiferien. Und das Versprechen zählt mehr als die Abweichung.
Mürren nimmt diese Zeit hin, ohne sich zu verbiegen. Es erlaubt sich, lauter zu sein. Hektischer. Offener. Es lässt zu, dass seine Gassen zu Bühnen werden, seine Abende zu Verlängerungen, seine Nächte zu Gesprächen, die man sonst nicht führt. Und irgendwo zwischen Apéroglas und Skipass, zwischen Bassbeat und Bergsilhouette, bleibt es doch Mürren.
Ein Dorf, das weiss, dass es auch wieder still werden wird. Dass die Lichter wieder früher ausgehen. Dass um acht, neun wieder Ruhe einkehrt.

